Die Brüder Cassani

Francesco und Eugenio wurden 1906 bzw. 1909 in Vailate (Cremona) geboren. Ihre Eltern waren Paolo Cassani und Luigia Rocchi.

Ihr Vater besaß eine Maschinenwerkstatt, die seit Generationen landwirtschaftliche Maschinen herstellte und reparierte. Zusammen mit seinem jüngeren Bruder pendelte Francesco zwischen dem Familienbetrieb und dem Abendstudium am Technischen Institut Feltrinelli in Mailand. In der Zwischenzeit, im Jahr 1920, verlegte die Familie die Werkstatt von Vailate nach Treviglio in der Provinz Bergamo, wo die Gebrüder Cassani 1927 im Istituto Agrario Cantoni einen Traktor mit dem Namen „Cassani“ vorstellten. Er wurde von einem Dieselmotor angetrieben, eine Antriebsform, die seit Ende der 1920er Jahre bei Industrie-, Militär- und Schienenfahrzeugen Anwendung fand. Der Traktor gewann Anfang der 1930er Jahre den nationalen Wettbewerb „Italienische Zugmaschine“ und ermöglichte es den Gebrüdern Cassani, sich sowohl in der Traktor- als auch in der Motortechnik ein größeres Fachwissen anzueignen.

Die Brüder, insbesondere Francesco, die technische Seele des Unternehmens, glaubten fest an den Dieselmotor und wollten den Einsatz solcher Aggregate auf neue Sektoren ausdehnen. Ende der dreißiger Jahre wurde eines der ersten Modelle des Cassani-Motors, der den Benzinmotor ersetzte, in einen Lastwagen der Armee eingebaut, während ein zweiter Prototyp, mit dem das Motorboot „Este I“ ausgerüstet war, bei der Regatta Venedig-Triest den Pokal „Herzog von Genua“ gewann und damit eine neue Anwendungsfront eröffnete: die Schiffsmotoren.

1937 erhielten die Gebrüder Cassani von der Luftwaffe außerdem den Auftrag, drei schnelle, leichte und für die Luftfahrt geeignete Achtzylinder-Revolvermotoren zu entwickeln. Die Vorserienmotoren wurden in den Werkstätten „Odero Terni Orlando“ in La Spezia hergestellt, jedoch wurden der Einbau und die Verwendung nach dem Kriegseintritt Italiens 1940 eingestellt.

Die technischen Experimente der Brüder mit Dieselmotoren konzentrierten sich parallel dazu auch auf den Einspritzprozess, insbesondere auf die Pumpen. 1936 gründeten die Gebrüder Cassani die Firma SPICA (Società pompe iniezione Cassani). Es ist darauf hinzuweisen, dass die Produktion von Dieselpumpen zu dieser Zeit fast ausschließliches Vorrecht der deutschen Firma Bosch war, die alle bedeutenden Motorenhersteller belieferte. 1938 kamen Admiral Arturo Ciano und der Geschäftsmann Luigi Orlando aus Livorno zu SPICA: Sie erwarben das Unternehmen und verlegten es unter Aufrechterhaltung der Zusammenarbeit mit den Gebrüdern Cassani nach Livorno. 1941 wurde das Unternehmen nach dem Tod von Luigi Orlando von IRI, dem italienischen Institut für industriellen Wiederaufbau, übernommen und der Kontrolle von Alfa Romeo unterstellt, die Francesco Cassani mit der Gründung des ersten Forschungszentrums für die Erforschung des Antriebs von Flugzeugverbrennungsmotoren beauftragte.

Cassani beschloss nach einigen Monaten Forschungstätigkeit, zu den Ursprüngen zurückzukehren: zur Mechanisierung der Landwirtschaft. 1942 gründete er zusammen mit seinem Bruder Eugenio die Firma SAME (Società Accomandita Motori Endotermici). Die Werkstatt begann ihre Arbeit mit der Reparatur von Militärfahrzeugen und der Lieferung von Feuerlöschmotorpumpen für das Innenministerium. 1946 produzierte SAME eine erste Autofalciatrice (Selbstfahrende Mähmaschine) mit drei Rädern, danach wurde der kleine Traktor SAME Universale 10 HP mit umkehrbarem Sitz entwickelt, an dessen erdölbetriebenen Motor konnten andere landwirtschaftliche Maschinen und Geräte angeschlossen werden. Es handelte sich um einen Traktor, der als Leistungseinheit für verschiedene Arbeitsgeräte konzipiert war und mit dem SAME den Nachkriegsmarkt in Angriff nahm.

In der Nachkriegszeit setzten die Brüder die intensive Arbeit an der Entwicklung neuer technischer Lösungen für Traktoren fort: so z. B. die Luftkühlung, die besonders den Anforderungen an Langlebigkeit, Betriebssicherheit, Wartungsarmut und hohe Modularität gerecht wird. 1952 perfektionierten die Gebrüder Cassani auch das Allradsystem – eine echte Besonderheit der SAME-Traktoren – die sich in den 1950er Jahren auf dem nationalen Markt fest etablierten.

1956 markiert einen wichtigen Wendepunkt in der Geschichte von SAME: die Eröffnung des neuen Werks in Treviglio, das mit drei Montagelinien (Motoren, Traktormontage, Lackierung) ausgestattet ist, die denen sehr ähnlich sind, die Cassani während einer Reise in die Vereinigten Staaten gesehen hatte, wo er Ford, Massey Ferguson und Caterpillar besucht hatte. Diese Jahre waren ebenfalls durch ein sehr intensives Engagement für die Vereinheitlichung und Standardisierung des Produktzyklus gekennzeichnet: Mit Beginn der 1950er Jahre wurde in der Tat eine Motorenserie mit 1 bis 8 Zylindern und vollständig austauschbaren Teilen hergestellt.

1959, nach dem Tod seines Bruders Eugenio, wurde Francesco Generaldirektor eines schnell wachsenden Unternehmens, das sich ständig um die Forschung und Entwicklung neuer Patente und Produkte bemühte. Im gleichen Jahr begann die Produktion des „SAME automatischen Steueraggregats“, einer Hydraulikeinheit, die die mit der Zugmaschine verbundenen Arbeitsgeräte steuert und ihre Wirkung über ein Feder- und Hebelsystem kontrolliert und einstellt, die von einem unter dem Lenkrad angeordneten Bedienfeld koordiniert werden. 1961 war das Jahr des bivalenten Samecar, ein Traktor, der in ein Transportfahrzeug umgebaut werden kann. Anlässlich der Messe in Verona präsentierte SAME 1965 außerdem seine neuen V-Motoren und die Traktoren Italia V, Atlanta, Sametto V sowie die Modelle Centauro im Jahr 1966 und Minitauro im Jahr 1968.

1971 bot das Unternehmen aus Treviglio 25 Traktormodelle mit Zwei- und Allradantrieb an, mit Varianten für Reisfelder, Obstplantagen und Weinberge und einem Leistungsbereich von 30 bis über 100 PS. Von 4.000 Traktoren pro Jahr im Jahr 1960 über 10.000 im Jahr 1962, 13.000 im Jahr 1970 und 15.000 im Jahr 1971 bis zu 20.000 im Jahr 1973, verzehnfachten sich die Exportquoten des Unternehmens in den 1960er Jahren und erreichten Mitte der 1970er Jahre 50 % der Produktion. Das Netz der direkten Tochtergesellschaften (Frankreich, Spanien, Deutschland, England) und der Zugang zum internationalen Markt (Vereinigte Staaten, Lateinamerika, Afrika, China) wurden ebenfalls erweitert. 1973 schloss Cassani den Erwerb der Firma Lamborghini Trattori in Pieve di Cento, in der Provinz Bologna, ab, die über ein effizientes Verkaufsnetz, ein gutes technisches Team und einige spezifische Produktmerkmale (Raupenketten, synchronisierte Getriebe) verfügte, die die bereits von SAME perfektionierten Spezifikationen ergänzten.

Francesco starb 1973, nachdem er 1960 den Ehrendoktortitel der Fakultät für Wirtschaftsingenieurwesen, Abteilung Mechanik, der Universität Pisa als innovativer Pionier auf dem Gebiet der mechanischen Konstruktion erhalten hatte. Cassani engagierte sich sehr in der technischen Ausbildung und war 1956 bis 1965 Präsident der Fachschule für Technisches Zeichnen Dell’Era Treviglio, eine der ältesten in Italien. Er förderte ebenfalls zahlreiche technische Kurse für Traktor- und Landwirtschaftsmechaniker im eigenen Unternehmen, die von italienischen und ausländischen Studenten besucht wurden. In den 1960er Jahren unterstützte und förderte SAME auch (mit der Lieferung von Maschinen für praktische Übungen) das Experimentelle Institut für landwirtschaftliche Mechanik der Universität Mailand, das in seinem Hauptsitz in Treviglio Kurse für landwirtschaftliche Unternehmer abhielt. Am 2. Juni 1962 erhielt er das Verdienstkreuz „Cavaliere del lavoro“, im März 1965 den Oscar der Landwirtschaft, eine von der Internationalen Messe von Verona geförderte Auszeichnung, zwei Jahre danach den Mercurio d’oro, ein Preis, der an Unternehmen verliehen wird, die sich um die produktive Entwicklung des Landes verdient gemacht haben. 1972 folgte der Preis Seminatore d’Oro, der vom Präsidenten der Republik verliehen wurde und den Pionieren und Schöpfern der weltweiten Motorisierung der Landwirtschaft gewidmet war. 1973 widmete das Museum für Wissenschaft und Technik in Mailand Francesco Cassani und seinem Unternehmen einen Saal.

1972 – Internationale Messe von Verona: Der Präsident der Republik G. Leone überreicht die hohe Anerkennung an den Cavaliere del Lavoro Ing. F. Cassani.

Das spirituelle Testament von Francesco Cassani

Wenn ich sterbe, möchte ich meinem Erben nahelegen zu berücksichtigen, dass SAME mithilfe meines verstorbenen und lieben Bruders Eugenio nicht zu Spekulationszwecken gegründet wurde, sondern um Italien einen namhaften Industriebetrieb im Bereich Traktoren und Verbrennungsmotoren zu schenken.

Denjenigen, der SAME leiten wird, ermahne ich, sich so gut wie möglich von den Grundsätzen der Einigkeit leiten zu lassen und keine Wagnisse einzugehen, im Versuch, SAME von seinem ursprünglichen Wirkungsbereich zu entfernen, der, wie bereits erwähnt, heute auf dem Bau von Traktoren basiert und in dieser Richtung weiterzuführen ist. Dabei ist stets die Verbesserung der Konstruktion anzustreben und die beharrliche Suche nach den geringsten Kosten und modernsten Ausgestaltungen der Maschinen nicht zu vernachlässigen.

In Zukunft wird die Konkurrenz noch aggressiver sein, daher ist es nicht nur von grundlegender Bedeutung, der Fabrik Kontinuität zu gewährleisten, sondern auch das Produkt auf dem neuesten Stand zu halten.

Auf die Männer, die heute mit mir auf technischem, kommerziellem und administrativem Gebiet zusammenarbeiten, kann man zählen […]. Ich empfehle und möchte unterstreichen, sich nicht auf kommerzielle und finanzielle Spekulationen einzulassen.

Die Fabrik soll nicht allzu sehr vergrößert werden, und dabei ist stets ein ausreichender finanzieller Sicherheitspuffer aufrechtzuerhalten, um Krisenzeiten meistern zu können, die in jedem Unternehmen vorkommen.

Allen Mitarbeitern möchte ich meine Zuneigung und Anerkennung für das zugunsten von SAME geleistete Engagement aussprechen.

Denjenigen, der meinen Platz einnehmen wird, ermahne ich, sich an meinen Werten, die die eines begeisterten, bescheidenen und fleißigen Arbeiters sind, zu orientieren.

Beim Umgang mit den Mitarbeitern ist stets unparteilich vorzugehen, und die Rivalität zwischen Mitarbeitern ist stets energisch zu bekämpfen. Diese müssen in der Hierarchie nach ihrem Verdienst aufsteigen, inspiriert von aufrichtiger Loyalität und Ehrlichkeit allen gegenüber.

Im Rahmen der technischen Weiterentwicklung wird der Realisierung der Gasturbine großes Interesse beigemessen. Es wäre empfehlenswert, sich vor allem an den Erfahrungen anderer Unternehmen zu orientieren, bevor in finanzieller Hinsicht untragbare Studien in Angriff genommen werden.

Ich hätte noch viel zu sagen, möchte aber schließen, indem ich den Personen, die mein Werk weiterführen werden, die Botschaft übermittle, das Unternehmen auf gesunde und ehrliche Weise zu leiten, wobei ich auf deren Klugheit und Aufrichtigkeit vertraue.

Der Herr möge Sie segnen und Ihnen beistehen und Sie alle für das Werk, das Sie sich zu vollenden anschicken, belohnen.